Lange Tiertransporte und damit Stress soll vermieden werden: Gerald Wischer setzt auf ein Schlachtmobil. Das hat aus seiner Sicht in Sachen Tierwohl und Klimaschutz Vorteile.
Von Bastian Hauck, Allgemeine Zeitung, erschienen am 14. Oktober 2020 PDF hier
GAU-KÖNGERNHEIM. Als Gerald Wischer über den Zaun auf die Weide im Gau-Köngernheimer Ried steigt, schnattern die 108 Gänse wild los, rennen vom Futteranhänger weg und watscheln im Kreis über die Wiese. Normalerweise kann der Gänse- und Hühnerhalter ganz dicht ran an die Tiere. Seiner Frau und seinen vier Kindern fressen die Vögel sogar aus der Hand, erzählt der 37-Jährige. Aber jetzt gerade herrscht Aufruhr auf der Wiese: Mit der Presse ist völlig fremder Besuch da, da lassen sich die Gänse nicht so leicht beruhigen. Ob sie denn auch spüren, um welches Thema es hier heute geht und deswegen aufgescheucht über das Gras laufen?
Das Thema ist für die Tiere freilich kein erfreuliches. Es geht um ihre Schlachtung. Und dennoch, ist Gerald Wischer überzeugt, gibt es auch für die Gänse positive Nachrichten. Denn: Am 26. November kommt zum ersten Mal ein Schlachtmobil zu ihm auf den Hof, den er im Nebenerwerb führt – um das Geflügel vor Ort zu töten. Das soll viele Vorteile für Tier, Mensch und Umwelt haben.
Bislang brachte der BASF-Produktmanager seine Gänse am 21. Dezember, also kurz vor Weihnachten, zu einem Schlachtbetrieb im Donnersbergkreis. Am Abend zuvor wurden die Vögel eingefangen, auf einen Anhänger gepackt und morgens zum Schlachtbetrieb gefahren. Bei 60 Tieren bedeutete das: mit vollem Hänger hin, mit leerem zurück, mit leerem Kühlwagen hin, mit dem mit Ware vollgepackten Fahrzeug zurück. Die Fahrzeit für eine Strecke: eine Stunde. „Das war immer ein Riesenaufwand“, sagt Wischer. Und für die Gänse bedeutete der Transport schon vor der Abfahrt Stress. „Den sah man ihnen an. Sie sitzen irgendwann nur noch apathisch da.“ Mancher Vogel verbrachte rund 24 Stunden auf dem Hänger, bis er bei der Schlachtung dran kam.
Nun stellt der 37-Jährige, der Landwirtschaft studiert hat, um. Nicht die Gänse müssen zum Schlachtbetrieb, sondern der Schlachthof kommt zu ihnen. Für Gerald Wischer hat das gleich mehrere Vorteile: Die Tiere können bis kurz vor ihrem Tod in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Von der Weide im Gau-Köngernheimer Ried geht es ein paar Meter zum mobilen Schlachthof. Es fällt also kein langer Transport zur Schlachtstätte an. Dadurch würde sich für ihn und seine Familie der Aufwand verringern. Wischer: „Wir müssen nicht mehrmals hin- und herfahren. Außerdem sehen wir hier vor Ort, wie mit den Tieren umgegangen wird.“ Und: Auf das eigene Schlachthaus, das 40 000 bis 50 000 Euro kostet, kann Wischer weiter verzichten. Für den Geflügelhalter ist das Ganze eine Win-win-Situation: für mehr Tierwohl, für mehr Nachhaltigkeit und für mehr Klima- und Umweltschutz. Dafür nimmt er auch höhere Kosten in Kauf. Für das Schlachtmobil zahle er rund 1500 Euro, die Jahre davor waren es jeweils 800 bis 1000 Euro.
Aufmerksam auf die mobile Schlachtstätte wurde der BASF-Angestellte, als er sich mit Jochen Steingass vom Weingut Mohrenmühle über dessen neues Hühnermobil austauschte. Während des Gesprächs kamen die beiden auf das Schlachtmobil zu sprechen. Das wurde von Landwirt Marcel Emrich im Rahmen eines Pilotprojekts in Hessen verwirklicht; unter anderem mit Unterstützung des zuständigen Veterinäramts des Wetteraukreises, der Tierärztin Dr. Veronika Ibrahim und des hessischen Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums.
Doch wie genau funktioniert die Schlachtung? Und warum ist sie für das Geflügel besser? Zunächst betäuben die Schlachter die Tiere. Sie drücken hierfür den Kopf des Tieres in eine V-Elektrode. Die Eltektrobetäubung gilt als schonender als die bei kleinen Direktvermarktern übliche Kopfschlagbetäubung, etwa mit einem Stock. Im betäubten Zustand kommt die Gans an einen Haken, dann werden die Halsschlagadern durchtrennt. Die Vögel bluten aus. Pannen, wie etwa in einer Elektro-Wasserbadanlage, gelten als unwahrscheinlich. Übrigens: Ein Amtstierarzt begleitet das Prozedere. Die frisch geschlachteten Tiere kommen anschließend bei Gerald Wischer in einen bereitgestellten Kühlwagen. Dort wird das Geflügel vakuumiert und verpackt. Wischer ist damit eine weitere Herausforderung los, nämlich darauf zu achten, dass die Kühlkette nicht unterbrochen wird. Am nächsten Tag kann er mit der Direktvermarktung der Ware beginnen.